Kapitel 1. 1. Verrat (2)

„Pah, der ist entweder ein Feigling oder ein Mitglied der Mazorca!“
„Er ist weder das eine noch das andere. Im Gegenteil, sein Mut grenzt an Leichtsinn, und sein Herz ist das reinste und edelste unserer Generation.“
„Aber was sollen wir denn seiner Meinung nach tun?“
„Er will“, antwortete der junge Mann mit dem Schwert, „daß wir alle in Buenos Aires bleiben, denn der Feind, den es zu bekämpfen gilt, ist in Buenos Aires und nicht in den Armeen. Und er hat mir vorgerechnet, daß am Tag einer Revolution weniger Menschen in den Straßen sterben werden als in vier oder sechs Monaten auf den Schlachtfeldern, ohne die geringste Wahrscheinlichkeit eines Triumphes … Aber lassen wir das, denn in Buenos Aires hört die Luft, sieht das Licht, und die Steine oder der Staub verraten dann den Henkern unserer Freiheit, was wir sagen.“
Er hob den Blick seiner schrägen schwarzen Augen. Ihr melancholischer Ausdruck paßte genau zu seinem blassen Gesicht. Es war ein schöner junger Mann von sechsundzwanzig Jahren.
Als die Unterhaltung lebhafter wurde und sie sich dem Flussufer näherten, verlangsamte Merlo seinen Schritt und hielt einen Moment inne. Er zog seinen Poncho fester um sich.
Sie hatten die Calle de Balcarce erreicht.
„Hier müssen wir auf die anderen warten“, sagte Merlo.
„Wissen Sie genau, wo an der Küste wir das Walfangboot finden?“ fragte der junge Mann.
„Ganz sicher“, antwortete Merlo. „Ich habe versprochen, Sie dort hinzubringen, und ich werde mein Wort halten, denn auch Sie haben Ihr Wort gehalten und mir das Geld gegeben. Es ist nicht für mich, sondern der Lohn der Männer, die Sie an das andere Ufer rudern sollen. Sie werden sehen, was für Männer das sind!“
Der durchdringende Blick des jungen Mannes war auf Merlo gerichtet, als die drei fehlenden Gefährten zu ihnen stießen.
„Jetzt dürfen wir uns nicht mehr trennen“, sagte einer von ihnen. „Gehen Sie voran, Merlo, und führen Sie uns weiter.“
Merlo kam der Aufforderung nach. Er ging die Calle de Venezuela entlang, bog in die Calle de San Lorenzo ein und schritt hinunter zum Fluß, dessen Wellen gemächlich an das smaragdgrüne Ufer von Buenos Aires schwappten.
Die Nacht war mild, vom schwachen Schimmer der Sterne erhellt, und eine kühle Brise aus dem Süden kündigte den nahen Winter an.
Im matten Licht der Sterne sah man den Río de la Plata, verlassen und wild wie die Pampa, und das Rauschen der Wellen, die sachte an das Ufer rollten, wirkte eher wie das Atmen dieses Giganten Amerikas.

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